Bereits im ersten vollen Geschäftsjahr 2009 konnte die Stiftung einen künstlerischen Wettbewerb durchführen.
An der Akademie der Bildenden Künste in Prag richtete die Stiftung einen Wettbewerb zum Kunstpreis 2009 für Nachwuchskünstler aus. Der Wettbewerb richtete sich ausschließlich an Studenten bzw. Absolventen der Akademie der Bildenden Künste in Prag. Die Arbeiten sollten einen Bezug zum Thema Architektur aufweisen. Die künstlerische Ausdrucksform war frei wählbar.

Mit tatkräftiger Unterstützung des Rektors, Herrn Prof. Jiri Sopko sowie des Prorektors, Dr. Jiri Sevcik, konnte die Durchführung des Kunstpreises an der Akademie in allen laufenden Klassen und bei den Absolventen bekannt gemacht werden. Ingesamt beteiligten sich 47 Künstlerinnen und Künstler am Wettbewerb.

Die von der Stiftung eingesetzte Jury bestand aus vier Mitgliedern, der freien Kuratorin Dr. Anette Hüsch (heute Leiterin der Kunsthalle zu Kiel), der Kunsthistorikerin M. A. Natascha Driever, der Galeristin Elly Brose-Eiermann (Dresden) und der Sammlerin Dr. Eva-Dorothee Leinemann. Das Preisgeld von EUR 4.000,00 wurde wie folgt verteilt:

1. Preis (EUR 2.000,00): Joseph Bares
2. Preis (EUR 1.200,00): Michaela Maupicova
3. Preis (EUR 800,00): Jan Broz

Neben den drei prämierten Arbeiten wurden weitere neun Arbeiten zur Veröffentlichung in einem 28-seitigen, farbigen Katalog ausgewählt. Die Gestaltung des Katalogs übernahm das Büro für Design- und Markenentwicklung, Thoma + Schekorr, Berlin.

Kontakt

Dr. Eva-Dorothee Leinemann
Tel. (030) 20 64 19-0
stiftung(at)leinemann-partner.de

Katalog Kunstpreis 2009 als PDF herunterladen.

 

Einleitung zum Katalog für den Kunstpreis 2009 der Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst
von Natascha Driever

Émile Zola hat in einer 1866 publizierten Sammlung kunstkritischer Aufsätze eine Definition von Kunst geliefert, die sich schon fast zu einem Leitsatz in der Kunstwissenschaft entwickelt hat: Ein Kunstwerk sei ein Stück Schöpfung, gesehen durch ein Temperament (Une œuvre d’art est un coin de la création vu à travers un temperament). Wenn man nun Künstlern die Vorgabe macht, sich mit dem Thema Architektur auseinander zu setzen, erhält man die Interpretation eines Temperaments durch ein Temperament, da ja Architektur für sich bereits ein eigenes Feld künstlerischer Tätigkeit darstellt. Diesen Gedanken weiterverfolgt, kann auch eine Übersetzung von etwas Dreidimensionalem in Zweidimensionalität zur Folge haben.

Seit den 60er Jahren hat sich der Kunstbegriff von seinen bisherigen Grenzen in alle Bereiche künstlerischen Schaffens, wie Environments, Aktionskunst oder Happenings, erweitert. Auf einmal spielte nicht nur das Kunstwerk selbst, sondern der ganze Raum, in dem Kunst stattfand, eine Rolle. Aus diesem Grund sieht der Besucher von Museen, Biennalen, Kunsthallen und Galerien in den heutigen Tagen Vieles, was sich nicht mehr einfach an die Wand hängen oder an jedem belieben Ort zeigen lässt. In diesem Sinne haben die meisten zeitgenössischen Kunstwerke per se einen Raumbezug.

Eine der ersten expliziten, künstlerischen Rezeptionen des Themas Architektur sind die ortsbezogenen Arbeiten des Künstlers Dan Flavin. Mit Leuchtstoffröhren unterschiedlicher Größe und Farbe verändert er durch das hinzugefügte Licht die Raumwahrnehmung und lenkte damit den Blick des Betrachters auf die ihn umgebene Architektur. Der Rezipient von Lichtkunst erfährt, wie sich durch die Poesie einer Beleuchtung die Ecken des Raumes oder ganze Wände scheinbar verschieben.

Andere Künstler, wie James Turrell, beschäftigen sich mit einem entgegen gesetzten Weg. Sie nutzen Räume, um einen besonderen Blick nach Außen zu zeigen. Dabei schaffen sie Öffnungen in der Architektur, um einen Ausschnitt und damit fokussierten Blick auf die Welt wiederzugeben. Im Falle Turrells wird zum Beispiel ein solcher Blick auf den Himmel mittels einer geöffneten Decke zusätzlich durch ein im Innenraum eingesetztes, künstliches Licht beeinflusst.

Darüber hinaus entstand in den letzten Jahrzehnten eine große Anzahl künstlerischer Produktionen, die einen installativen, teils improvisierten Charakter haben. Immer mit einem Konzept verbunden, sind diese Aussage mal mehr und mal weniger von der eigentlichen Arbeit her abzuleiten. Unvermeidbar ist dabei, ob bewusst oder unbewusst, ein Eingriff in die Wahrnehmung des Raumes oder der Architektur, die sie beherbergte. In vielen Fällen bezogen sich die Künstler aber auch ganz konkret auf Museumsbauten als Institution, wie etwa Marcel Broodthaers, auf den eigenen Lebensraum, wie Joseph Beuys, oder politische Räume. So ist jedes Haus auch gleichzeitig die kleinste Zelle menschlichen Zusammenlebens und damit einer Gesellschaft.

Dass sich Architektur und Politik oft verbinden, sah die Welt in einer Art globalen Übersichtsschau bei der 11. documenta 2002. Der afrikanische Leiter Okwui Enwezor hatte bewusst einen Schwerpunkt auf politische Kunst gelegt und aufgezeigt, wie intensiv sich Künstler dieser Tage mit ihrer Herkunft beschäftigen. Als Ergebnis sah der Besucher häufig auch architektonische Fundstücke und Räume mit politischer Dimension. Der Schweizer Thomas Hirschhorn ging dabei soweit, eine eigene Architektur aus Pappe und Holzbrettern in einem sozialen Brennpunkt Kassels zu errichten. Diese dem Schriftsteller Georges Bataille gewidmeten Räume wurden ganz unterschiedlich von den Bewohnern des Viertels angenommen. Neben Akzeptanz gab es auch tiefste Ablehnung gegenüber dem Projekt. So erhielt ein Kunstwerk, mit zunächst nur architektonischem Charakter, im Folgenden eine höchst politisch-soziale Dimension.

Auch zweidimensionale Kunstwerke vergangener Jahre weisen auf unterschiedliche Art und Weise einen architektonischen Bezug auf. In der Malerei werden Räume ganz neu und mit mehr Phantasie als es das beste Computerprogramm je könnte erdacht. Dabei suchen die Künstler immer eine Auseinandersetzung mit dem Wesen der Malerei und dessen technischer Mittel. Durch die Überlagerung unterschiedlicher Malschichten erhält eine Leinwand so eine Öffnung nach Innen, Außen, Oben oder Unten.

Erstaunlich ist der in der Photographie zu beobachtenden Trend, sich bei dem Thema Architektur häufig nicht mit dem Schaffen von Räumen, sondern genau dem Gegenteil, nämlich deren Dekonstruktion, zu beschäftigen. Künstler wie Robert Polidori schaffen poetische Zeugnisse von Ruinen und verwilderten Stadtteilen und versuchen, bald nicht mehr existente Räume im Dokument festzuhalten.

Bei der Sichtung der eingereichten Arbeiten zum diesjährigen Kunstpreis fällt auf, dass die jungen Künstler der Akademie der Bildenden Künste in Prag so gut wie alle Facetten der beschriebenen Verbindungen zur Architektur aufgegriffen haben. Trotz einer Überzahl an Werken mit einem skulptural, installativen Charakter, gibt es ebenso Positionen aus dem Bereich Photographie, Video und Malerei, wie die für den Katalog ausgewählten Werke belegen. Erstaunlicherweise ist aber das vielleicht Naheliegendste nicht eingeliefert worden: ein architektonischer Entwurf. Diese Tatsache belegt die hohe intellektuelle Ebene der an diesem Wettbewerb teilnehmenden Studenten und deren Wunsch nach einer abstrakteren Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen Thema. Auf unterschiedlichste Art und Weise wurde von ihnen der Bezug zum Thema Architektur ästhetisch, konzeptionell, kunsthistorisch oder politisch aufgefasst und somit der Versuch unternommen, Zolas Auffassung eines Kunstwerkes zu potenzieren. Entstanden sind Arbeiten, die ein Stück Schöpfung, nämlich Architektur, einer weiteren Schöpfung unterziehen, indem sie durch ein Temperament erneut aufgearbeitet wird. Der Wettbewerb zeigt, wie viel kreatives Potential in unserem Nachbarland Tschechien schlummert, das ohne Frage in Form der folgenden Künstlergenerationen aus diesem Land in den europäischen Kunstdiskurs getragen werden wird.