Die erste öffentliche Aktivität und Präsenz der Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst erfolgte im Mai 2009, nur gut ein halbes Jahr nach Gründung der Stiftung. In den Räumen von LEINEMANN PARTNER RECHTSANWÄLTE Friedrichstraße 185-190 10117 Berlin fand eine vom Stiftungsvorstand kuratierte Ausstellung unter dem Titel „Konstruktiv“ statt, in deren Rahmen auch und vor allem Kunstwerke aus dem Bestand der Stiftung ausgestellt wurden. Dies betraf etwa die Arbeiten Modul Red/Green von Martin Borowski, Made Inside (no.4) von Igor Eskinja, das Gemälde „Viele farbenfröhliche Trojans und eichelförmige Worms auf Software-Updates“ von Markus Huemer, das Bild Nr. 53-03 von Peter Krauskopf sowie die Skulptur „Haus“ von Thomas Scheibitz. Aus Privatbesitz oder durch Leihgaben von Galerien sind weitere Werke dieser Künstler hinzugekommen, sodass die Stiftung in der Lage war, von den in ihrem Bestand befindlichen Künstlern eine repräsentative Auswahl jüngerer Arbeiten zu präsentieren. Herzstück der Ausstellung war der 24-seitige Katalog „Konstruktiv“, dessen Kosten die Leinemann-Stiftung für Bildung und Kunst zu 50 % übernahm. Die Stiftung dankt LEINEMANN PARTNER RECHTSANWÄLTE für die Übernahme der anderen Hälfte der Herstellungskosten. Im Rahmen eines Empfangs Anfang Mai 2009 wurde die Ausstellung in Anwesenheit von rund 150 Gästen eröffnet und war noch bis 20.06.2009 für die Öffentlichkeit zugänglich. Auszüge aus der Einleitung zum Katalog „Konstruktiv“ von Harald Kunde sind auf der folgenden Seite wiedergegeben. Die Gestaltung des Katalogs übernahm die Agentur eye-d.de (Dirk Lebahn), Berlin. Harald Kunde war bis Ende 2008 Direktor des Ludwig-Forums für internationale Kunst in Aachen und ist seit 01.01.2009 Honorarprofessor am Institut für Kunstgeschichte der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen, sowie freier Publizist und Kurator.

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Aus dem Katalog „KONSTRUKTIV“

Harald Kunde
First Choice. Anmerkungen zu einer im Entstehen begriffenen Sammlung (Auszug)

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Im Zentrum dieser Erstpräsentation stehen künstlerische Positionen, die im weitesten Sinne mit Raum und Architektur zu tun haben. Der Maler Martin Borowski, hier vertreten mit einigen früheren und zwei aktuellen Arbeiten, demonstriert dabei auf überzeugende Weise verschiedene Paradigmen seines Umgangs mit dem Thema und macht die Entwicklungsschübe nachvollziehbar, die er seit seiner Ausbildung Ende der 90er Jahre an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bis heute genommen hat. Dominiert etwa bei dem großen Längsformat „Modul Red Window“ von 2002 noch eine von Mark Rothko, Ellsworth Kelley und Frank Stella inspirierte Farbfeldmalerei, die den modularen Kontrasten und Korrespondenzen einer selbstreferentiellen Farbe nachspürt, bedienen sich neuere Bilder wie beispielsweise „Fashion Shop II“ einer narrativen Folie, die eine komplexe Gleichzeitigkeit von abstrakter und gegenständlicher Lesart zulässt. Diese visuelle Komplexität, die ein erklärtes Ziel in Borowskis Überlegungen darstellt und die sich idealerweise als polyphone Simultanität zwischen motivischer Vorgabe und malerischer Umsetzung realisiert, hat sich in den letzten Jahren in Ausstellungs- und Werkreihen wie „Homestory“, „Visitation“ oder „Museum“ herausgebildet und ist zu einem qualitativen Erkennungsmerkmal seiner Arbeit geworden. Auffällig dabei ist, dass einmal mehr alltägliche Sujets und übersehene Details – Korridordurchblicke, Fassadenkanten, Heizungsnischen – als geeignete Auslöser fungieren, um das Relationsspiel zwischen gegenstandsbezogener Darstellung und bildautonomer Gestaltung in Gang zu setzen und letztlich das kalkulierte Mysterium eines in der Fläche gebannten Raums zu erzeugen. Insofern setzen Borowskis aktuelle Arbeiten seine früheren, eher elementaren Form- und Farbuntersuchungen konsequent fort, mit dem Unterschied allerdings, dass sie jetzt über eine größere Welthaltigkeit verfügen und dass die ehedem fast mönchische Leere nun einem wachen Gespür für die Sensationen der Empirie gewichen ist: Interieur, Design, Museum.

Auch die zweite malerische Position der Auswahl, die von Peter Krauskopf, dokumentiert anhand der ausgestellten Arbeiten einen gewissen Abschnitt seiner künstlerischen Entwicklung, obgleich die gegebene Selektion bei weitem nicht das umfangreiche Spektrum des bisher zurückgelegten Wegs veranschaulichen kann. Denn Krauskopf, der Anfang der 90er Jahre an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte und seit dem dortigen Abschluss in Berlin lebt, gehört zu den heute eher selteneren Künstlern, die von den klar begrenzten Axiomen des Konstruktivismus ausgehend über längere Zeiträume Werkreihen von verblüffender Vielfalt und Materialität entwickelt haben, welche eigentlich nur in einer retrospektiven Übersicht die verfolgten Intentionen verdeutlichen können und die in der einzelnen Arbeit zwangsläufig rudimentär erscheinen. (…)

Im Umfeld dieser Werkgruppe lotete Krauskopf auch die Möglichkeiten variabler Bildkompositionen aus: befestigt auf einer Wandschiene, wurden transparente und opake Materialien – Plexiglas, Samt, Autolack – miteinander konfrontiert und zeitigten Symbiosen von flüchtiger Schönheit. In jüngster Zeit hingegen widmet sich der Künstler wieder ganz der „sinnlich-sittlichen“ Wirkung der Farbe, wie es an der zuletzt in die Sammlung gelangten Arbeit eindrucksvoll ablesbar ist. Duktus und Textur des Farbauftrags künden dabei üblicherweise von der subjektiven Signatur des Autors und verstehen sich zugleich als reflexive Referenz an alle diesbezüglichen Heroen der Malereigeschichte bis hin zu Gerhard Richter, deren Anwesenheit im Bildgedächtnis der Betrachter Peter Krauskopf ganz bewusst in Kauf nimmt.

Mit allen nur greifbaren Materialien, die summarisch gern als „Mixed Media“ bezeichnet werden, zimmert der englische Künstler Matthew Houlding hybride Behausungsmodelle voller sich überlagernder kulturelles Codes. Denn Houlding zitiert nicht eigentlich architektonische Paradigmen, schon gar nicht im akademischen Sinne, sondern ihm ist es vielmehr um die damit verbundenen Lebensvorstellungen zu tun, die sich an globalisierten Signalen und Klischees festmachen lassen und die doch in den seltensten Fällen ihre Einlösung finden. Deshalb wirken viele seiner Modelle wie Investorenverheißungen nach einem Tsunami: beschädigt und ernüchternd, getürmt aus Versatzstücken ehemals intakter Realitäten, überzogen mit dem Firnis des Katastrophischen. Doch für etwaige Depressionen bietet sich dennoch kein Raum. Aufgeklebte Sonnenuntergänge, postkartenbunte Idyllen und kleine Statussymbole der Mobilität überziehen jedes Szenario mit universeller Ironie und intonieren genüsslich die Maxime des postmodernen Deliriums: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“ (…)

In vergleichbarer Verwertungsferne zum Effizienzdruck der sogenannten Wirklichkeit operiert auch Wolfgang Schlegel, dessen Skulpturen und Wandobjekte sich in vielfach codierter Weise mit Repetition und zeichenhafter Repräsentation ebendieser Realität beschäftigen. In einer unterkühlten Ästhetik, die Industriedesign und serielle Fertigung assoziiert, schafft er all die funktionalen Passstücke moderner Urbanität – Treppen, Geländer, Fassaden, Container, Schilder – in manuellem Nachvollzug noch einmal und eröffnet ihnen damit quasi die Möglichkeit einer neuen Existenz. Er löst sie aus ihren kollektiv vereinbarten Bestimmungen, negiert ihre systemischen Konventionen und entzieht ihnen die Hoheit von Information und Orientierung, über die sie bis dato in unbemerkter Selbstverständlichkeit geboten: einzig und allein mit dem Ziel, sie neu wahrnehmbar zu machen. (…) Ordnung, Struktur, Perspektive – all diese probaten Konstruktionen des Logos geraten dann leicht ins Schwanken, wenn der Gegenstand der Erkenntnis plötzlich zum Subjekt wird und den Betrachter anblickt, wenn eine Gestalt ohne funktionale Zuweisung eine Ausschließlichkeit der Wahrnehmung beansprucht, die ihr zuvor nie zugestanden wurde und die alle sicher geglaubten Hierarchien auf den Kopf stellt. Solcherart Verrückungen der Normalität perforieren die Routine des Daseins und erweitern die Räume des Denkbaren: im Atelier, im wirklichen Leben und selbstredend auch auf den Korridoren einer Anwaltskanzlei.

Vor allem der in Linz geborene, heute ebenfalls in Berlin lebende Markus Huemer steht beispielhaft mit der von ihm verfolgten Strategie der medialen Analogien, mit deren Hilfe er strukturelle Wechselbeziehungen zwischen Malerei und digitalen Bildmedien untersucht und unter Einbeziehung der jüngeren Kunstgeschichte sowie ihrer ironischen Brechung die Bedingungen heutiger Bildproduktion thematisiert. In vielschichtigen reflexiven Referenzen namentlich zu Jackson Pollock, Sigmar Polke und Jacques Derrida entwickelt Huemer dabei einen eigenständigen interaktiven Kosmos, der um Fragen der selbstbestimmten Autorschaft ebenso kreist wie um die Mythen einer technikgenerierten „Gerätekunst“ und der sehr oft den Betrachter, der zum User wird, als quasi ausführendes Organ mit einbezieht. (…) Ein Gemälde mit dem vermeintlich ermutigenden Titel „Es gibt Situationen im Leben, da ist das Schicksal ganz klar auf meiner Seite“: ein typischer Huemer mit allen Ingredienzien abgründigen Humors. Auf einer weithin leeren, aber absichtsvoll zerknitterten Fläche, die in gewisser Weise als tabula rasa nach dem oft beschworenen Ende der Malerei gelten kann, finden sich die silhouettenhaften Umrisse einiger Vögel, die in unterschiedlicher Farbigkeit in lockerer Reihung verteilt sind – sonst nichts. (…) Zum einen zitierten sie den Ritus antiker Priester, der Auguren, aus dem Flug der Vögel bestimmte gesellschaftliche Entscheidungen abzuleiten, zum anderen erweiterten die Hühner beziehungsweise Finken durch die Spur ihrer Exkremente im Raum das „Drip-Paining“ Jackson Pollocks zum „Drop-Painting“. Seit diesen Aktionen spielen Vögel im bildnerischen Denken Markus Huemers eine zentrale Rolle, und viele darauf folgende Serien wie etwa die „Neue Bösartigkeit“ oder die hier vorhandene Einzelarbeit bedienen sich ihrer in einer skurrilen Stellvertreterfunktion für menschliche Verhaltensweisen. Wer von den dargestellten Exemplaren nun allerdings das Schicksal klar auf seiner Seite hat und in welcher Situation das zutrifft, bleibt absichtsvoll offen; deutlich ist nur, dass diese Art der Darstellung Denkfiguren wie denen eines Schicksals kategorisch misstraut und sie karikierend als Gemeinplatz freigibt.

Die abschließende Position des aus Kroatien stammenden Künstlers Igor Eškinja, hier vertreten durch den Lambda-Print „Made Inside (No. 4)“, konzentriert sich hingegen wieder ganz auf die Sensationen des Sichtbaren und führt den Betrachter in kalkulierte Labyrinthe optischer Täuschung. Mit einfachem Klebeband entwirft er mehrere Folgen scheinbar gestapelter Kartons, deren immaterielle Existenz sich zwischen Wand und Boden vollzieht und die somit einen imaginären Raum ausbilden, der jeder Erfahrung widerspricht. Es ist verblüffend, mit welch einfachen Mitteln hier die gewichtigen Paradigmen von Minimal- und Concept-Art aufgerufen werden, ohne ihrer Strenge und Theorielastigkeit zu verfallen. Vielmehr pflegt Eškinja einen spielerischen Umgang mit den Dingen, der ihren Möglichkeitssinn im Musilschen Sinne stimuliert und der durch präzise Perspektivwechsel im Raum immer wieder Situationen herbeiführt, in denen die Welt aus den Angeln gehoben erscheint. (…)